10 Jahre Ortstafellösung – eine Kärntner Erfolgsgeschichte

Foto: LPD Kärnten/Just

Kärnten schreibt Geschichte!

Ich verwende bewusst das Präsens. Denn was am 26. April 2011 geschafft wurde, war nicht nur das Ende einer 56 Jahre andauernden konfliktbeladenen, schwierigen, unser Land und ja, selbst Familien spaltenden Diskussion. 
Es war vor allem der Anfang einer Erfolgsgeschichte, der Beginn einer neuen Zeitrechnung, in der unser gemeinsames Kärnten immer weiter zusammenwächst. 
Für die Titelgebung würde ich durchaus Anleihe bei der Europäischen Union nehmen:

»Kärnten in Vielfalt geeint«. Koroška združena v raznolikosti

Am 26. April 2011 verkündeten Staatssekretär Josef Ostermayer, LH Gerhard Dörfler sowie die Slowenenvertreter Valentin Inzko (Narodni Svet/Rat), Marjan Sturm (Zveza/ZV) und Bernard Sadovnik (Skupnost/Gemeinschaft) einen historischen Kompromiss in der Ortstafel-Frage: 164 zweisprachige Ortstafeln von Neuhaus/Suha im Osten bis Dellach/Dole im Westen sollten den seit Jahrzehnten andauernden Konflikt endlich beilegen. 
Heute wissen wir, dass vor zehn Jahren tatsächlich ein neues, geschichtsträchtiges Kapitel im Zusammenleben der Volksgruppen aufgeschlagen wurde. 
Dabei geht es um viel mehr als Ortstafeln: Es wurde mit der gemeinsam erarbeiteten Kompromisslösung bewiesen, dass sich scheinbar in den Stein der Geschichte gemeiselte Standpunkte lösen können, dass Empathie, Verständnis und Vernunft manchmal doch Vorurteile besiegen, dass Grenzen in den Köpfen überwunden werden können.
Und das zeichnet eine solidarische, weltoffene, liberale Gemeinschaft, zu der sich Kärnten entwickelt, aus: vorgefasste Meinungen und Standpunkte ändern zu wollen und ändern zu können. Den Mut zu haben, Argumente und Beweggründe seines gegenübers nicht nur zuzulassen, sondern sich auch vorurteilsfrei mit ihnen auseinanderzusetzen. Es braucht Mut, Willen und Herz aufeinander zuzgehen, einander zu vertrauen und gemeinsam Lösungen zu finden, die von allen Beteiligten getragen und gelebt werde können. 
Dazu wurden vor zehn Jahren die Weichen gestellt, und diesen Weg gehen wir seither: miteinander offene Fragen zu lösen und unser bereicherndes mehrsprachiges Zusammenleben, dem Ideal einer offenen, freundlichen, solidarischen und achtsamen Gesellschaft anzunähern.
Ein zukunftsorientierter Weg, der sich auch in meiner eigenen Familie wiedergespiegelt hat. Ja, auch in meiner Familie hat es Skepsis gegenüber der Zweisprachigkeit gegeben.
Ich werde nie vergessen, wie meine 2013 verstorbene Mutter reagiert hat, als ich meinen Sohn im zweisprachigen Kindergarten angemeldet habe.
„Bua, hat sie gesagt, wie kannst denn das machen?“
Aber als ihr dann Luca, zum Muttertag das erste Gedicht – Mamica moja in Slowenisch aufgesagt hat, und ihr die Tränen über die Wangen gelaufen sind, da waren die Skepsis und jahrelange Ablehnung der slowenischen Sprache augenblicklich weg. 
Mein Sohn hat dann das slowenische Gymnasium besucht – bei seiner Matura war meine Mutter genauso stolz wie ich. Sie hat erkannt, dass Mehrsprachigkeit kein negatives Stigmata sondern wertvoll für die Zukunft ist.
So wie meine Mutter, der ich alles verdanke, immer und bis ins hohe Alter hoffnungsfroh in die Zukunft geblickt hat, so soll auch die Politik ohne Scheuklappen in die Zukunft schauen.
Dass heute Gemeinden vielfach einstimmige Beschlüsse fassen für mehr zweisprachige Ortstafeln und Schilder, als vor 10 Jahren beschlossen, dass die slowenische Volksgruppe in unserer Landesverfassung festgeschrieben ist, dass im Dialogforum Slowenenvertreter und alle im Kärntner Landtag vertretenen Parteien gemeinsam diskutieren und Beschlüsse fassen, dass der neue FPÖ-Obmann sagt »Die Frage der Zweisprachigkeit ist geklärt. Ich sehe darin kein emotionales Thema«, dass wir unter anderem im gemeinsamen Komitee Kärnten-Slowenien genauso wie in vielen gemeinsamen EU-Projekten grenzüberschreitende Initiativen setzen, die eine Bereicherung für uns alle sind – all das sind weitere wichtige »Lesezeichen« in unserer Erfolgsgeschichte.
Einige, die diesen Prozess angestossen und begleitet haben, habe ich bereits erwähnt: Staatssekretär Ostermayer, der sich mit Kärnten und seiner Geschichte intensivst auseinandergesetzt, sich in die Kärntner Seele hineinversetzt und beharrlich und ausdauernd vermittelt und verhandelt hat; meinen Vorgänger Gerhard Dörfler, der trotz heftiger Kritik aus den eigenen Reihen, die Zeichen der Zeit und vor allem der Zukunft erkannt, den Paradigmenwechsel unterstützt, getragen und mit eingeleitet hat. Desgleichen die Vertreter der slowenischen Organsiationen Sturm, Inzko und Sadovnik, die aus ihrer Volksgruppe nicht nur Beifall erhalten haben. Ihnen allen gilt mein Dank, als Landeshauptmann und auch zutiefst persönlich als stolzer Kärntner in einem gemeinsamen Europa.
Vam vsem izrečem mojo hvaležnost kot Deželni glavar in prav posebno kot ponosen Korošec v skupni Evropi.
Als vorbildlich und beispielgebend möchte ich auch das Wirken ehemaliger Gegner in der Volksgruppenfrage hervorheben, deren Aussöhnung auf persönlicher Ebene die politische erst möglich gemacht hat: Marjan Sturm und KHD-Obmann Josef Feldner haben bewiesen, dass die Macht des Gespräches Berge – und nicht nur Ortstafeln – versetzen kann. Das war eine historische Leistung, die durch einen stetig wachsenden Gesinnungswandel begünstigt wurde. Sie haben das vorgelebt und sind damit aus meiner Sicht für uns, für unsere Kinder und nachfolgende Generationen Vorbilder, was 2010 auch Barack Obama meinte, als er sagte: Was wir brauchen ist die Fähigkeit, uns in unserem Gegenüber wiederzuerkennen. 
Potrebujemo sposobnost, da se prepoznamo v našemu nasproti sedečemu.
Also auch Sorgen, Ängste genauso wie Hoffnungen anderer zu verstehen und in ihnen eigene Sorgen, Ängste, Hoffnungen zu erkennen.
Josef Feldner und Marjan Sturm haben diese Fähigkeit für sich, für uns, für Kärnten nicht nur entdeckt sonden vorgelebt. 
Besonders hervorheben möchte ich bei diesem Festakt den jüngst im 100.Lebensjahr verstorbene ehemalige Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Heinz Stritzl. Sein Wirken, man gestatte das pathetische Wort, spiegelt den wechselnden Zeitgeist eines ganzen Jahrhunderts; sein Wirken als Mitglied der Konsensgruppe hat das Fundament für ein friedlicheres, wertschätzenderes Zusammenleben der Volksgruppen mit gelegt.  
Er war ein Brückenbauer im besten Sinn des Wortes, der bis zuletzt seine mahnende Stimme für ein humanes, weltoffenes Miteinander erhoben hat – und daher auch immer wieder ein adäquates Augenmaß in der Behandlung der deutschsprechenden Volksgruppe Sloweniens einforderte. 
Eine Forderung, der ich mich seit jeher anschließe und die ich auch bei jeder Gelegenheit im Gespräch mit der slowenischen Staats- und Regierungsspitze, allen voran bei meinem Freund Borut Pahor einsetze.
Und es ist das Beispiel Kärntens, das mich zuversichtlich macht, dass es uns gelingen wird, weitere Verbesserungen für unsere deutschsprechenden Landsleute in Slowenien zu erreichen. 
In Kärnten haben wir, haben deutsch- und slowenischsprechende Landsleute bewiesen, wie sehr beide Seiten und das Land insgesamt profitieren, wenn nicht auf parteipolitischem Gezänk und damit verbundenen Maximalforderungen beharrt wird. Wege entstehen indem man sie geht – auch solche, die sehr lange sind. Insofern sehe ich in der dem Kärntner Beispiel folgenden Einrichtung eines Dialogforums in Slowenien, das sich mit den Altösterreichern und ihren berechtigten Anliegen beschäftigt, einen guten ersten Schritt. Ein Schritt dem noch viele weitere folgen müssen und werden – davon bin ich überzeugt.
Peter Kaiser, Landeshauptmann Kärnten
09.07.2021