Liebe Bürgerinnen und Bürger,
mit schwerem Herzen und großer Besorgnis wende ich mich heute an Sie, um über die traurige Realität von zwei Jahren brutaler russischer Aggression in der Ukraine, gegen das ukrainische Volk und gegen unsere europäischen, demokratischen Werte zu sprechen. Als Landeshauptmann von Kärnten und persönlich bin ich zutiefst besorgt über die anhaltende Gewalt, das Morden und ihre Auswirkungen auf die Menschen in der Region und auf uns alle in Europa. Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat nicht nur tausende Tote zur Folge, sondern auch eine tiefe Narbe in die politische Landschaft Europas gerissen. Unsere Gedanken und Gebete gehen an diejenigen, die unter diesem Krieg leiden, sei es durch den Verlust von Angehörigen, den Zusammenbruch von Gemeinschaften oder die schmerzhafte Trennung von geliebten Menschen.
Schutz und Sicherheit. Immer wieder geht es um unser, um das menschliche Bedürfnis nach Schutz, Geborgenheit und Sicherheit. Überall haben Menschen dieses Schutzbedürfnis. Vor und seit zwei Jahren, wurde und wird unser Schutzbedürfnis, das Gefühl, dass wir in Europa zumindest vor kriegerischen Auseinandersetzungen geschützt sind, erschüttert: Vor zwei Jahren, am 24. Februar 2022 hat Russland seinen verheerenden, menschenverachtenden, alle Friedensbündnisse ignorierenden Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen. Nein, ich will und muss es differenzieren: Nicht „die Russen“, nicht Russland, dieser Riesenstaat, der nach dem Ende der Sowjetunion seinen Schrecken für uns verloren hatte. Sondern jenes Russland, das von Wladimir Putin in seine grausigsten Geschichtsepochen zurückgeworfen wurde. Ein Diktator, der uns nimmt, was wir lange als zu selbstverständlich empfanden: unser Gefühl des Geschütztseins.
Von der Ermordung des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexei Nawalny in Sibirien und der Liquidierung eines zur Ukraine übergelaufenen russischen Kampfpiloten in Spanien über das globale Treffen bei der Münchner Sicherheitskonferenz und der europäischen Verteidigungsgarantie des sozialdemokratischen deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz bis zur überfälligen Nachrüstung des österreichischen Bundesheeres und unserer übermäßigen Abhängigkeit von russischem Gas geht es dieser Tage immer wieder um eine Art von Schutz, den wir aktuell nicht mehr haben, nicht mehr in dem Ausmaß, das wir bisher vielfach als gegeben vorausgesetzt haben.
Nein, wir haben uns in kürzester Zeit von einer Wohlstands- bis teilweise Überflussgesellschaft zu einem zutiefst verunsicherten Gemeinwesen gewandelt. So wie ich es in den schon 50 Jahren meiner aktiven politischen Tätigkeit noch nie erlebt habe. Nicht einmal in der Phase der Jugoslawien-Kriege direkt vor unserer Kärntner Haustür. Wahrscheinlich erleben wir, vielleicht erfährt sogar all das, was wir einst Westeuropa nannten, die größte Verunsicherung seit dem Zweiten Weltkrieg. Denn es herrscht Krieg. Nicht irgendwo im Osten. Nein, hier, in Europa. Vor unserer österreichischen Haustür. Die Ukraine liegt unserer Ostgrenze näher als Bregenz. In Kiew und Lviv, dem einstigen Lemberg, entscheidet sich, wie wir künftig leben. Ob in ständiger Angst um unsere Freiheit, um unsere mühsam errungenen demokratischen Errungenschaften. Oder in relativem Schutz, weil das Bollwerk Ukraine mit EU-Unterstützung dem von den Allmachtphantasien Putins entfesselten Russland standgehalten hat.
Liebe Kärntnerinnen und Kärntner, geschätzte Bevölkerung, liebe Freundinnen, liebe Freunde! Um unseren relativen Schutz und unsere Sicherheit zu behalten, zu erhalten, gibt es keine Kompromisse. Keine Gesellschaft kann nur ein bisschen frei oder lediglich etwas demokratisch sein. Freiheit und Demokratie sind absolute Begriffe. Zumindest für mich. Und sie sind die Eckpfeiler unseres Zusammenlebens sowie die Grundlage nicht nur meines politischen Engagements. Deshalb kann ich es nicht verstehen, wenn allen Ernstes politische Stimmen, hauptsächlich von extremen Rechten und Rechtsextremen, laut werden, die ernsthaft die Aufhebung aller Sanktionen gegen Putin fordern und damit das gewalttätige Überrschreiten von Ländergrenzen legitimieren wollen. Es erfüllt mich und sollte alle vernünftigen, friedliebenden und sich dem Schutzbedürfnis der Menschen verantwortlich fühlenden Menschen mit Sorge erfüllen, wenn nach der Welle der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine nun die Stimmung zu kippen droht. Zu einem faulen Kompromiss, der wie die Aufforderung an Putin zu weiteren Überfällen wirken würde.
Liebe Kärntnerinnen und Kärntner, geschätzte Bevölkerung, liebe Freundinnen, liebe Freunde! In unserer hochtechnologischen Kommunikationsgesellschaft ist es modern geworden, sich bei unterschiedlichsten Übergriffen mit den Opfern zu solidarisieren. Die Anlässe sind so tagesaktuell, wie das Wir-Gefühl wieder schwindet. Doch im Fall der Ukraine darf diese Karawane der Aufmerksamkeit nicht einfach weiterziehen. Die Ukraine verteidigt nicht nur sich. Sie verteidigt mit unserer Unterstützung auch uns. Sie führt einen Stellvertreterkrieg. Für uns. Bei aller Verunsicherung, die daraus für Europa, für Österreich, für Kärnten entstanden ist, müssen wir zumindest eines immer versichern, bis die Sache in unserem Sinne erledigt ist: Wir sind bei euch. Wir danken euch. Wir helfen und unterstützen euch. Wir sind alle Europa!
Denn gerade wir in Kärnten, als Region im Herzen Europas, sind uns der Bedeutung von Frieden und Stabilität bewusst. Wir fordern nachdrücklich ein Ende der Gewalt und appellieren an alle beteiligten Parteien, den Weg des Dialogs und der Verhandlungen zu wählen. Die Zukunft Europas hängt von der Fähigkeit ab, Konflikte friedlich zu lösen und Zusammenarbeit über Grenzen hinweg zu fördern.
Die Bedeutung der bevorstehenden EU-Wahl für den Erhalt von Frieden und Demokratie kann in diesen unsicheren Zeiten nicht genug betont werden. Als Bürgerinnen und Bürger sind wir nicht nur Zeugen, sondern auch Gestalter der Zukunft Europas. Die Wahl, die wir treffen, wird nicht nur unsere Region, sondern auch den gesamten Kontinent prägen.
In diesen turbulenten Zeiten müssen wir uns als Europäer zusammenschließen, um die Grundwerte unserer Union zu verteidigen: Frieden, Demokratie, Freiheit und Solidarität. Die EU-Wahl ist eine Gelegenheit, politische Führungspersönlichkeiten zu wählen, die sich für diese Werte einsetzen und die Herausforderungen der Gegenwart mit Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein angehen.
Eine starke EU ist entscheidend, um effektiv auf geopolitische Herausforderungen wie den Konflikt in der Ukraine zu reagieren. Wir müssen eine vereinte Stimme haben, um Druck auszuüben, Friedensgespräche zu fördern und jene Werte zu verteidigen, die das Fundament unseres Kontinents bilden.
Gleichzeitig ist die EU-Wahl eine Chance, die Demokratie in Europa zu stärken. Durch eine aktive Teilnahme an den Wahlen tragen wir dazu bei, eine repräsentative Führung zu wählen, die im Sinne der Menschen handelt. Unsere Stimmen sind ein Instrument, um sicherzustellen, dass die EU-Institutionen transparent, verantwortlich und demokratisch agieren.
Lasst uns diese Wahl als eine Chance begreifen, die Zukunft Europas aktiv zu gestalten und die Werte zu verteidigen, die uns als Gemeinschaft verbinden. Nur durch ein geeintes und demokratisches Europa können wir Frieden und Wohlstand für die kommenden Generationen sichern.
Trotz der düsteren Realität gibt es auch Hoffnung. Die internationale Gemeinschaft, also auch wir, hat eine Verantwortung, die Menschen in der Ukraine zu unterstützen und sich für eine dauerhafte Lösung einzusetzen. Kärnten wird seinen Teil dazu beitragen und alle Bemühungen für Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität unterstützen.
Lassen Sie uns gemeinsam an einer besseren Zukunft arbeiten, in der Konflikte durch Dialog und Zusammenarbeit gelöst werden. Nur durch Einigkeit und Verständigung können wir die Grundlagen für eine dauerhafte Friedenslösung schaffen.
Peter Kaiser