Arbeitswelten der Zukunft – Kärntens Weg zu einem fairen Arbeitsmarktzugang für alle

2022 ist das Jahr der Rekorde am Kärntner Arbeitsmarkt mit so wenigen Arbeitslosen (Durchschnitt Jänner bis Oktober: 16.379 Personen) wie zuletzt vor 20 Jahren, während zeitgleich so viele Menschen wie noch nie unselbständig beschäftigt (Durchschnitt Jänner bis Oktober: 222.706) sind. Die Arbeitslosenquote beläuft sich im Jänner bis Oktober-Jahresdurchschnitt auf 6,9 Prozentpunkte und entspricht somit exakt der Arbeitslosenquote aus dem Jahr 1989 – also lange vor der Finanzkrise 2008, vor Hypo/ HETA, vor COVID, vor dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine.
Doch diese erfreulichen Zahlen verzerren das Arbeitsmarktbild der Zukunft und verdecken die Problemstellungen, die auf uns zukommen. Einerseits verändert sich Arbeit markant, andererseits ist unsere Gesellschaft im Umbruch. Und außerdem: Jede arbeitslose Person ist für mich eine zu viel! Es gilt Mittel und Wege zu finden, neue Strukturen zu schaffen und jedem und jeder eine Chance auf sinnvolles Tätigsein zu ermöglichen.

Demographischer Wandel

Unsere Gesellschaft überaltert zunehmend. Demographisch stehen wir vor großen Herausforderungen, denn die Babyboomer-Generation – also die Generation, die nach dem zweiten Weltkrieg, zu Zeiten steigender Geburtenraten geboren wurde – verabschiedet sich in den Ruhestand. Sie fehlt dem Arbeitsmarkt als dringend benötigte Arbeits- und Fachkräfte. Gab es in den 1980er und 1990er Jahren im Durchschnitt noch 12.000 bis 13.000 Lehrlinge, die ihre Ausbildung in einem der über 2.100 Kärntner Lehrbetriebe absolvierten, so ist die Zahl in den vergangenen Jahren aufgrund niedrigerer Geburtenraten rückläufig. Im Durchschnitt hat Kärnten in den letzten Jahren nur noch 7.000 Lehrlinge zu verzeichnen. Bis 2030 könnten Kärnten insgesamt 30.000 Arbeitskräfte fehlen, wenn nicht gezielte (arbeitsmarkt-)politische Maßnahmen gesetzt werden. Dieses Problem ist kein Kärntner Problem, sondern eine Zeiterscheinung westlicher Gesellschaften. Um weiterhin einen attraktiven Arbeitsmarkt zu haben, brauchen wir qualifiziertes Personal. Deshalb etablieren wir in Kärnten einerseits Qualifizierungsmaßnahmen, um jene Personen nach- bzw. aufzuschulen, die sich beruflich neu orientieren müssen oder deren Ausbildungen nicht länger dem gegenwärtigen Standard entsprechen. Andererseits braucht es aber auch die gezielte Ansprache von hochqualifizierten Personen und Doppelkarrierepaaren, die sich in Kärnten ansiedeln. So sorgen wir in Gemeinschaft weiterhin dafür, dass wir als südlichstes Bundesland Österreichs als Industrie-, Forschungs- und Entwicklungsland, also Top-Innovator-Region der EU federführend Zukunft mitgestalten können.

Arbeitssysteme im Wandel

Neben den demographischen Herausforderungen sieht sich die Arbeitswelt im Spannungsfeld von Digitalisierung, Robotik, Industrie 4.0 und der Erreichung der Green Deal-Ziele von maßgeblichen Veränderungen betroffen. Aktuell werden in Österreich laut Studien, wie bspw. jener des Fraunhofer Instituts, 72 Prozent des BIP von Menschen und 28 Prozent von Maschinen erwirtschaftet. Bereits 2025 werden laut Prognose Maschinen und Roboter 52 Prozent des BIP erwirtschaften. Schon deshalb ist klar, dass wir nicht nur über alternative Wege zur Sicherung unseres Sozialstaates nachdenken werden müssen, sondern vor allem über neue sinnstiftende qualifizierte Arbeit. Care-Berufe, die immer wichtiger werden in Anbetracht der demographischen Veränderungen, müssen bspw. aufgewertet, im Zeitmanagement anders gestaltet und besser entlohnt werden, während andere Berufe vor ganz neuen Herausforderungen im Umgang mit nachhaltigen Produktionsformen, dem Ressourcen- und Energieverbrauch stehen.
Mit der voranschreitenden Digitalisierung muss die Struktur von Arbeit und des starren „nine-to-five“-Bürokorsetts überdacht werden, möchte man als Arbeitsregion und arbeitgebendes Unternehmen interessant für Arbeitssuchende bleiben. Die damit verbundenen Fragestellungen von neuen Arbeitsformen reichen von Homeoffice-Lösungen über neue Arbeitszeitmodelle, wie die Vier-Tage-Woche, bis hin zu Job-Sharing oder anderen individuellen Lösungen.
Doch mit zunehmender Technologisierung verändern sich nicht nur die Zugänge zum Arbeitsalltag, sondern vielmehr auch die Berufsbilder, die benötigten Kompetenzen, Fähig- und Fertigkeiten. Neue Bildungsstandards, Qualifikationsniveaus, Kompetenzprofile und Anforderungen an zukünftige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund völlig neuer Jobs, die aus der dringend notwendigen Umstellung auf nachhaltigere Produktionsformen und Produkte resultieren, sind weitere Herausforderungen, auf die wir Kärntens Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorbereiten müssen.
Darüber hinaus sind einzelne Job-Profile ausgesprochen spezifisch geworden, Ausbildungen verändern sich und oftmals sind es nur minimale Qualifikationsanforderungen, die möglichen Arbeitnehmenden fehlen und die es gezielt und gemäß der Job-Description nachzuholen gilt. So kann den Unternehmen ebenso geholfen werden, wie den Arbeitssuchenden. Denn, und da bin ich mir ganz sicher, niemand ist gerne arbeitslos, jede und jeder möchte sinnvoll tätig sein und in irgendeiner Art und Weise ihren bzw. seinen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Es braucht also neue Zugänge zur Arbeitskräfteakquise, neue Vermittlungs- und Qualifizierungsmodelle parallel zu den bestehenden Maßnahmen. Deshalb arbeiten wir in Kärnten im Rahmen des Territorialen Beschäftigungspaktes (TEP) bereits intensiv unter dem Stichwort „Kompetenzvalidierung“ an neuen, innovativen Wegen der Vermittlung.

Arbeitsmarktpolitik in Kärnten

Für all diese Fragestellungen, von Green Deal über Fachkräfteakquise und Matching bis hin zu neuen Arbeitszeitmodellen, haben wir die Kärntner Arbeitsmarktpolitik bereits in den letzten Jahren mit der „Arbeitsmarktstrategie 2021+ für Kärnten“ gerüstet. Die Kernpartner AMS Kärnten und Land Kärnten schaffen in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern und Interessenvertretungen nachhaltige Programme für Beschäftigung und Qualifizierung, um möglichst vielen in Kärnten lebenden Menschen eine langfristige (Wieder-)Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen – unabhängig von Vermittlungshemmnissen, wie Alter, Vorerkrankungen, Behinderungen etc.
Wir holen sehr erfolgreich EU- und Bundesmittel ab, wenn es darum geht, die Kärntnerinnen und Kärntner auf ihrem Weg zu qualifizierter, sinnstiftender Arbeit unter guten, modernen Arbeitsbedingungen zu unterstützen.
Wie wir das unter anderem machen? Durch Investitionen in Qualifizierung und Bildung, von der Elementarpädagogik über Erwachsenenbildung bis hin zur Bildung von Seniorinnen und Senioren, oder der Installierung von regionalen Bildungsnetzwerken wie zum Beispiel dem Bildungs-Hub Oberkärnten, sorgen wir für einen guten, zertifizierten, qualitätsgesicherten Ausbildungsstandard in Kärnten, während wir zeitgleich mit dem Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz sowie unterschiedlichen Projekten auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzen. So erleichtern wir den Zugang zu Arbeit für Personen mit Betreuungspflichten und steuern dem Phänomen „working poor“, also Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in schlecht bezahlten Hilfstätigkeiten zumeist ohne Berufsschutz, gegen. Außerdem schulen wir Fähig- und Fertigkeiten, die am Arbeitsmarkt gebraucht werden, aber nicht vorhanden sind, gezielt, gerade um auch die Unternehmen in ihrer Transformation hin zu nachhaltigen, grünen Produktionsweisen zu unterstützen. Wir gestalten also pro aktiv mit einer Vielzahl an innovativen Projekten und Maßnahmen die Zukunft mit.

Erfolgreicher Mix an Arbeitsmarktmaßnahmen

Neben bewährten Strukturen, die immer wieder auf ihre Passgenauigkeit und ihren Erfolg hin überprüft werden, testen wir in Kärnten viele neue Maßnahmen oder nehmen adäquate Verbesserungen vor. Die lang bewährte Eingliederungsbeihilfe von AMS Kärnten und Land Kärnten für Personen mit multiplen Problemstellungen (Langzeitarbeitslosigkeit, Alter, Suchtproblematiken, chronischen Erkrankungen u.v.m.) wird bspw. im kommenden Jahr mit Aspekten sozialökonomischer Überlassung kombiniert, um mit berufsspezifischen Weiterbildungen und sozialpädagogischer Begleitung den Erfolg der Arbeitsmarktintegration zu steigern. Dadurch erhalten die Betroffenen jene zusätzliche Unterstützung, die ihnen bisher fehlte, um nachhaltig Fuß fassen zu können.
Über Gemeinnützige Beschäftigungsprojekte und Sozialökonomische Betriebe, ebenfalls Werkzeuge zur Reintegration, die sich seit Jahren bewähren, werden vom Arbeitsmarkt ausgegrenzte Personen an langfristige Beschäftigung herangeführt.
Die Land Kärnten-Weiterbildungsförderung und -Qualifizierungsförderung für Beschäftigte, letztere komplementär ausgerichtet zur Förderung durch das AMS Kärnten, gelten bspw. nicht für Arbeitssuchende, sondern für Personen in aufrechten Beschäftigungsverhältnissen, damit auch ihre Jobchancen langfristig abgesichert sind.
Innovatives und Neues probieren wir in Kärnten bevorzugt in den Bereichen der EU-Förderungen aus: regelmäßig veröffentlichen wir neue Calls, die zur Einreichung von Projekten aufrufen, die, zugeschnitten auf eine spezifische Zielgruppe, dieser bei der Reintegration helfen. Für mich besonders bemerkenswerte Beispiele sind „brücken.werk“, ein Projekt zur Heranführung an den Arbeitsmarkt für bildungsbenachteiligte, niedrigqualifizierte junge Erwachsene mit belastenden Lebensumständen, die fall- und stundenweise beschäftigt werden. Oder „LAB – Laptops für Ausbildung und Beschäftigung“ von 4everyoung.at, bei dem alte Laptops von zehn Projektteilnehmenden re- oder upgecycelt und in der Folge Arbeitsuchenden in Weiterbildungsmaßnahmen sowie Personen in Integrations-Weiterbildungsmaßnahmen jeweils insbesondere des AMS als Leihgerät zur Verfügung gestellt werden. Gerade dieses Projekt verbindet Kreislaufwirtschaft, Qualifizierung und Beschäftigung besonders effizient. Zu den Themen Kreislaufwirtschaft und Treibhausgase-Reduktion konnten wir insgesamt rund 25 Millionen Euro an EU-Just Transition Fonds-Mitteln nach Kärnten holen, von denen wir 11 Millionen Euro im Bereich Beschäftigung einsetzen werden – und zwar ausschließlich für jene Personen, die aufgrund des Green Deal umgeschult bzw. höherqualifiziert werden. Calls im Rahmen der neuen EU-Strukturfondsperiode 2021 – 2027 werden in den kommenden Wochen veröffentlicht.
Mit Zielgruppenstiftungen und Implacement-Stiftungen wiederum werden für Arbeitssuchende weitreichende Qualifizierungen, von vollständigen Ausbildungen mit Lehrabschluss bis hin zu Nachhaltigkeitsmanagement, gefördert.

Faire Chancen für alle

Diese Maßnahmen und noch so viele andere mehr helfen dabei die Arbeitsmarktchancen von vielen langfristig zu verbessern. Sofern sie in der Balanced Scorecard (BSC), dem Kennzahlensystem des AMS, abgedeckt sind, ergab sich für die Kärntner Arbeitsmarktprodukte im Jahr 2021 ein durchschnittlicher Arbeitsmarkterfolg von beinahe 60%, selbst unter Einbezug jener Projekte, die mit den am schwierigsten in den Arbeitsmarkt zu vermittelnden Zielgruppen arbeiten. Die Details zur Vielzahl der Kärntner Maßnahmen lassen sich im 1. Umsetzungsbericht zur Arbeitsmarktstrategie 2021+ (ab Ende Dezember auf der Homepage des Landes Kärnten nachlesbar unter: https://www.ktn.gv.at/Themen-AZ/Details?thema=3&detail=727) für Kärnten auf der Homepage des Landes Kärnten nachlesen.
Durch die konsequente Weiterarbeit an den unterschiedlichen Programmen und Maßnahmen, durch die zielgerichtete Förderung innovativer, neuer Pilotprojekte stärken wir in Kärnten die Resilienz des Arbeitskräftepotentials im Allgemeinen und die Zugangschancen zu qualifizierter, qualitativer Arbeit der Einzelnen.
Dabei vergesse ich nie darauf, dass wir im Arbeitsmarkt nur gemeinsam ans Ziel kommen und Fairness nur durch ganzheitliche Betrachtungen, von der Kinder- und Altenbetreuung, über flächendeckende Glasfaseranschlüsse zur aktiven Partizipation an neuen Arbeitsformen, bis hin zur Gewährleistung des Zugangs zu Bildung für alle erreicht werden kann.
Meine Devise in Fragen der Arbeitsmarktpolitik lautet deshalb ganz klar: interdisziplinäre, bereichsübergreifende Modelle und Lösungsansätze für die Zukunft entwickeln, erproben und nachhaltig implementieren – in sozialpartnerschaftlichem Schulterschluss für alle Kärntnerinnen und Kärntner, für unsere Kinder und Enkelkinder, für einen zukunftsfähigen Arbeitsmarkt, der fairen Zugang zu qualifizierten Arbeitsplätzen mit Arbeitszeitqualität und gerechter Bezahlung ermöglicht und niemanden zurücklässt. Ein intelligentes Bekenntnis zu gesellschaftlicher Solidarität.
Peter Kaiser, 3.12.2022