Der neue SPÖ-Chef Andreas Babler im großen Antrittsinterview: Er will Vorstandsgehälter begrenzen, Einkommen in Unternehmen transparent machen und ein Comeback der SPÖ in der Außenpolitik.
Profil-Interview geführt von Iris Bonavida und Eva Linsinger
Andreas Bablers Büro in der Löwelstraße sagt viel über den Zustand der SPÖ. Es ist ziemlich karg, der neue Chef zog erst am Donnerstag ein, die Parteizentrale ist renovierungsbedürftig, der große Besprechungstisch knarzt laut, sobald sich Babler darauf abstützt. „Hat jemand einen Bierdeckel?“, fragt er, kriecht unter den Tisch, und versucht ihn zu reparieren. Ohne Erfolg.
Sind Sie Linkspopulist?
Nein.
Im Wahlkampf haben Sie von „Eliten“ in der Partei gesprochen, nach dem Motto: „wir unten gegen die da oben“.
Ja, aber gepaart mit einem umfassenden eingebetteten sozialdemokratischen Konzept.
Ist Populismus etwas Schlechtes?
Ja, wenn er völlig losgelöst von Programmatik ist.
Sie sind jedenfalls links, auch im SPÖ-Spektrum. Wie können Sie für die gesamte Partei in ihrer Breite stehen?
Gegenfrage: Woran definiert sich das Links-Sein eigentlich? Mein Programm deckt sich mit gültigen Parteitagsbeschlüssen, selbst bei der Vermögensbesteuerung.
Sie haben im Wahlkampf selbst das Image des linken Underdogs gepflegt und sich so von Hans Peter Doskozil abgegrenzt.
Ich bin gefragt worden, ob ich ein Problem damit habe, als Linker bezeichnet zu werden. Und ich habe geantwortet: Wenn man die Forderung nach einer Kindergrundsicherung oder einer Mietpreisbremse als links bezeichnet, kann ich gern damit leben. Ich formuliere eben kantiger. Links ist alles andere als ein Schimpfwort, aber man soll immer eine Programmatik dazu formulieren.
Wer ist Ihr politisches Vorbild? Es wird ja öfters der Brite Jeremy Corbyn genannt.
Ich habe ihn aber nie selbst genannt! Vom Politikstil ist es eher die US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez.
Und bei den SPÖ-Vorsitzenden, die als Foto hinter Ihnen hängen?
Es ist natürlich immer sehr verlockend, Bruno Kreisky zu nennen, er hat Österreich wirklich stark geprägt. Ich habe ihn als Kind zwar wahrgenommen, stärker aber unseren burgenländischen Genossen Fred Sinowatz.
Zu einem anderen burgenländischen Genossen. Ihr Mitstreiter Niki Kowall hat Doskozil in drei Worten beschrieben: Opportunismus, Polarisierung, Rechtspopulismus. Stimmt das?
Nein, das wäre zu verkürzt. Wir müssen jetzt von diesen Diskussionen wegkommen.
Im Wahlkampf haben Sie ihn scharf kritisiert. Jetzt wollen Sie Einigkeit in der Partei, aber in Salzburg hat man sich schon skeptisch zur Arbeitszeitverkürzung geäußert, Tirol zur Migrationspolitik. Wie soll da Einigung gelingen?
Ich habe das in der Präsidiumssitzung offen angesprochen. Es ist eine Frage der Priorisierung von Themen, und eigentlich war Salzburg immer für die Vier-Tage-Woche.Ich hoffe, dass sehr schnell ein neuer Stil einziehen wird und wir intern diskutieren.
Trägt Doskozil den neuen Stil mit?
Das nehme ich an. Er hat angekündigt, die Bundespartei zu unterstützen.
Sie haben Dominik Wlazny bei der Bundespräsidentenwahl gewählt, passt jemand wie er in die SPÖ?
Es war eine Persönlichkeitswahl, bei der kein SPÖ-Kandidat zur Auswahl stand. Zuerst geht es einmal um die SPÖ, wir brauchen einen großen Einigungsprozess. Und da gibt es ja schon großartige Entwicklungen. Seit Montag sind 1000 neue Mitglieder eingetreten. Menschen sollen wie bei Kreisky ein Stück des Weges mitgehen. Egal ob jemand der Partei beitreten möchte oder nicht, kann man sich engagieren. Und jetzt komme ich auf Marco Pogo zurück, um seinen Künstlernamen zu nennen: Das Angebot an ihn steht.
Wir möchten Ihre inhaltlichen Positionen klären. Sind Sie für eine Maschinensteuer, also Wertschöpfungsabgabe?
Ja, auch wenn ich sie anders bezeichnen würde. Das Thema ist in Europa bei vielen Sozialdemokratien auf der Tagesordnung.
Sie sind für Vermögensbesteuerung. Was soll mit dem Geld geschehen – Steuern auf Arbeit senken?
Es wird wohl eine Verhandlungsmasse bei Koalitionsverhandlungen werden. In Österreich herrscht ein Ungleichgewicht zwischen den Steuern auf Arbeit und denen auf Vermögen – das muss sich ändern.
Vermögenssteuern sind Koalitionsbedingung für Sie. Wie soll das umsetzbar sein?
Vermögen ab einer Million sollen besteuert werden. Immobilien werden miteinberechnet, abzüglich der Schulden. Ungerechtigkeiten in Verteilungsfragen müssen beseitigt werden. Damit haben wir finanziellen Spielraum, um Programme umzusetzen. Daher gehört es in ein Koalitionsprogramm.
Im Wahlkampf war auch Thema, dass Sie für ein Maximalvermögen sind.
Das war eine Beantwortung einer Frage in der Wahlkabine, aber keine explizite Forderung.
Sollen Gehälter von ATX-Vorständen begrenzt werden? Die Sozialistische Jugend fordert, dass maximal das Sechsfache der Einkommen der Beschäftigten möglich ist.
Ja, die Schere geht immer weiter auseinander. Das ist völlig entrückt! Derzeit verdienen Vorstände rund 60 Mal mehr als ihre Mitarbeiter, das gehört geregelt. Die genaue Spanne müssen wir uns anschauen.
Sie wollen auch Arbeitsplatzgarantie. Wie soll das umgesetzt werden?
Wir haben ein gutes Modell vom jetzigen SPÖ-Chef in Niederösterreich, Sven Hergovich, mit seiner Arbeitsplatzgarantie. Nun werden wir konkrete Pläne für Gesamtösterreich ausarbeiten.
Eine Wiederbelebung der Aktion 20.000 von Christian Kern?
Ja, das ist sicherlich in gutes Modell. Es profitieren alle davon, denn sonst müsste man die Arbeitslosigkeit weiterfinanzieren. Mir geht es um einen strukturierten Rechtsanspruch auf einen Arbeitsplatz.
Sind Sie für eine Leerstandsabgabe für Wohnungen?
Ja, weil Wohnungen nicht als Spekulationsobjekt leer stehen dürfen. Aber es wird schwierig, den Leerstand festzustellen und zu definieren. Es könnte eine Kombination aus Energieverbrauch und Meldebestätigung sein, aber das gehört noch ausgearbeitet.
Ein Punkt, bei dem Doskozil und Sie sich unterschieden haben, war Frauenpolitik. Ist die SPÖ eine Macho-Partei?
Die Art und Weise, wie Pamela Rendi-Wagner angegriffen wurde, hatte machistische Untertöne. Diese Realität müssen wir uns vor Augen führen. Daher ist es unsere Aufgabe, die SPÖ weiblicher zu machen. Politisch und strukturell. Die Diskussion um die Quote sollte außer Streit stehen. Sie ist längst beschlossen, sie ist notwendig. Ich würde die 50:50-Quote auf den gesamten Parlamentarismus übertragen.
Kann man das anderen Parteien vorschreiben?
Ja, das sieht man in Belgien zum Beispiel.
Aktuell kriegen die Parlamentsklubs einen Bonus, wenn sie einen Frauenanteil von 40 Prozent haben. Was wollen Sie, Strafen?
Das gibt es zum Beispiel in Frankreich. Es gibt genügend Konzepte der SPÖ-Frauen, die wir als Gesamtpartei diskutieren müssen.
Sie wollen die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen schließen und fordern verpflichtende Transparenz bei Gehältern. Wollen Sie das Unternehmen vorschreiben?
Ja, man sieht zum Beispiel in Neuseeland, wie es funktioniert. Es gibt fertige Konzepte, man muss nicht alles neu erfinden. Der Equal-Pay-Day ist wichtig zur Bewusstseinsbildung, aber irgendwann müssen wir diesen Tag auch aus dem Kalender streichen.
Was heißt das konkret – sollen Unternehmen Strafe zahlen?
Ohne Sanktionen wird es nicht gehen. Die Details muss man sich aber anschauen. Gehaltstransparenz ist ein Bestandteil davon – und etwa in Skandinavien längst an der Tagesordnung. Auch die Arbeitsverkürzung würde die Lohnschere schließen.
Ist das realistisch?
Die Arbeitszeitverkürzung bleibt zentral, diese Hauptforderung endet nicht am ersten Mai. Manche Kämpfe dauern länger. In den 1990-er Jahren hieß die Finanztransaktionssteuer Tobin-Tax, die SPÖ-Gewerkschaft hatte ein fertiges Modell – und 30 Jahre später diskutieren wir sie immer noch. Ein Wahnsinn, 500 bis 600 Milliarden Euro würde Besteuerung von Spekulationen EU-weit jährlich bringen. Das wird ein Teil der notwendigen Veränderung der EU. Das wird eine harte Auseinandersetzung, denn in der EU haben Konzern- und Kapitalinteressen Vorrang.
Im berüchtigten Video nennen Sie die EU ein „aggressives militärisches Bündnis“. Sind Sie angesichts des Ukraine-Kriegs für eine EU-Armee?
Man muss die EU-Sicherheitsstruktur groß denken, nicht nur anlassbezogen in einem Krieg. Wir haben als europäische Sozialdemokratie kein Konzept. Wir machen einfach mit. Wir als SPÖ haben den Dialog mit unseren Außenpolitik-Experten sträflich vernachlässigt. Ich habe ihn wieder aufgenommen, damit wir zu Standpunkten kommen: Was ist die Rolle der USA, was die EU-Sicherheitspositionierung, was heißen Kriege für die österreichische Neutralität? Diese Fragen müssen wir diskutieren.
Wir haben als europäische Sozialdemokratie kein Konzept. Wir machen einfach mit.
Muss sich die EU von der NATO emanzipieren?
Ich bin gegen Überschriften. Ich bin für ein außenpolitisches Comeback der SPÖ und grundsätzliche Debatten. In den letzten 20 Jahren gab es nur konservative EU-Kommissionspräsidenten, da werden wir um Änderung kämpfen. Meine ersten Reisen nach Brüssel werden gerade vorbereitet. Die EU-Wahl wird unser erster Wahlkampf. Denn die SPÖ hatte zu wenig Profilierung am internationalen Feld.
Würden Sie Österreich mit der Waffe verteidigen?
Ja natürlich, ich war Angehöriger des Bundesheeres.
Hätten Sie den neuen EU-Asylregeln zugestimmt, inklusive Auffanglagern an den Grenzen?
Ich hätte ähnliche Bedenken gehabt wie die deutsche Sozialdemokratie: An pauschalen Schnellverfahren und an Auffanglagern, die anscheinend so gedacht sind, dass sie gefängnisartig sind und man dort auch Frauen und Kinder unterbringt. Ich bin da sehr skeptisch. Die SPÖ-Position dazu wird eingebettet in die Präzisierung der SPÖ-Asylstrategie, an der wir arbeiten werden. Und zwar gemeinsam.
Welche Position zum Ausländer-Wahlrecht ist in der SPÖ mehrheitsfähig?
Der Weg, den die SPÖ Wien eingeschlagen hat: Die finanziellen Hürden für die Staatsbürgerschaft abbauen. Die Sozialdemokratie hat immer um Mitbestimmungs-Rechte gekämpft, in Betrieben und bei Wahlen. Es geht nicht, dass in manchen Regionen fast 60 Prozent der Bevölkerung nicht mitbestimmen kann, obwohl sie hier Steuern zahlt.
In Ihrem Wahl-Programm steht, dass Sie Privatflugzeuge verbieten würden. Gemeinsam mit der EU oder im Alleingang?
Der Kampf gegen die Erderhitzung ist auch eine soziale Frage. Die reichsten zehn Prozent verbrauchen fast die Hälfte der Konsum-Emissionen, ein Flug mit einem Privatjet verbraucht das 14-fache von einem Linienflug. Natürlich sind Privatjets nur ein kleiner Teil des Emissionsverbrauchs, aber ich will Bewusstsein schaffen, dass die Reichsten überverbrauchen und dass es im Klimaschutz um Verteilungsfragen geht. Die Reichsten werden sich immer Klimaanlagen leisten können – spüren werden die Erderhitzung andere.
Sollen Privatjets also EU-weit verboten werden?
Ja, ein österreichischer Alleingang wäre schwierig.
Zum Schluss einige Fragen zu Habitus und Persönlichem.
Oje, da fahre ich am leichtesten ein.
In Ihrem Programm steht: „Andi Babler findest du nicht in Hinterzimmern von Nobel Discos.“ Wann waren Sie zuletzt in der Prater-Sauna oder in Nobeldiscos?
In der Prater-Sauna war ich tatsächlich noch nie. Mein letzter Disco-Besuch war vor einigen Wochen im kultigen U-4 bei der Falco-Tribute-Night, da bin ich direkt von einer Veranstaltung am Podium des Kreisky-Forums hin, weil ich ein großer Falco-Fan bin.
Sie waren beim Papst. Sind Sie gläubig?
Nein, ich bin Atheist.
Sie haben angekündigt, Ihr Bundesratsgehalt zu spenden. Machen Sie das?
Ja, ganz komplett. Ein Dauerauftrag geht an eine Kinder-Patenschaft. Ich werde das jedes Jahr bis auf den letzten Euro offenlegen. Ich hatte einmal ein Problem mit Doppelbezügen, das war ein Fehler, das passiert mir nie wieder.
Bekommen Sie Gehalt als Parteichef?
Keine Ahnung, ich glaube nicht.
Ihr Video mit EU-Aussagen sorgte für Aufregung. Was kommt noch? Haben Sie Jugendsünden begangen?
Mir wurde einmal, ich glaube mit 18, der Führerschein für vier Wochen abgenommen. Also keine große Geschichte.
Sie sind für Cannabis-Freigabe. Wann haben Sie das letzte Mal gekifft?
Wenn ich sage, ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wäre das gelogen – aber es ist sehr lange her.
Mit Ihrem Weingut hatten Sie einen Wein namens „Underdog“. Brauchen Sie jetzt einen neuen?
Wir hatten lustige Namen wie „Mei Hawerer“, „Underdog“ oder „Freibeuter“ und „Comandante“. Man kann zwischen „Freibeuter“ und „Comandante“ wählen – aber das Weingut gehört mir eh nicht mehr.
SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer hatte das Motto „Die Wege entstehen im Gehen“, Werner Faymann gab die Parole „Ehrlich währt am längsten“ aus. Was ist Ihr Motto?
Der Bewegung Sozialdemokratie Stolz und Würde geben.
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Profil-Interview vom 9. Juni 2023