Klar ist jedenfalls, dass Kärnten seinen guten Ruf wiederhergestellt hat. Die Lösung alter Konflikte hat uns neues Ansehen eingebracht. Wenn wir ursprünglich als „Streithanseln“ galten, sind wir heute wohl demokratie-politische Musterschüler – und das müssen wir auch im täglichen Umgang beweisen.
Weil gerade aktuell sehr viel über „Demokratie“, ihre Bedeutung und Gefährdung diskutiert und spekuliert wird, möchte ich mit diesem Blog verdeutlichen, wie wichtig die demokratie-politische Weiterentwicklung gerade für Kärnten war und ist und warum es wichtig ist, „Demokratie“ täglich aufs Neue zu leben und zu verteidigen.
1989 als Wendepunkt?
Passenderweise erfuhr ich in einer 180-Grad-Kurve vom Berliner „Mauerfall“. An einem Abend im November 1989 war ich als jüngster Abgeordneter des Kärntner Landtags unterwegs nach Ferlach, als das Radioprogramm für eine wichtige Meldung unterbrochen wurde. Völlig aus dem Häuschen berichtete ein Moderator von tausenden Menschen, die soeben die Berliner Mauer durchbrochen hatten und in Richtung Westberlin strömten. Ich hielt den Atem an, wohlwissend, wie schnell solche Ereignisse in Gewalt umschlagen. Doch es kam: nichts. Kein Wort von den befürchteten Schreckensnachrichten wie Schüssen, Verhaftungen, Verletzten, Massenpanik. Die Befreiung von Millionen Menschen aus der DDR – ohne dass ein einziger Schuss abgegeben wurde – schien tatsächlich geglückt.
Von da an folgten Jahre, die von einer generellen Aufbruchsstimmung gekennzeichnet waren. Man rückte von den einzementierten Positionen ab, die jahrzehntelang das Blockdenken des Kalten Krieges bestimmt hatten. Im Gegenzug begann man allmählich anzuerkennen, dass ein Thema stets mehr Aspekte hat als man selbst sieht – und dass man im Dialog immer weiterkommt, als wenn man nur auf der eigenen Sichtweise beharrt.
Abbau von Grenzen, Abrüsten von Ideologien
Mit dem Fall der Berliner Mauer brach buchstäblich ein enormer Brocken der Folgen des Zweiten Weltkrieges in Mitteleuropa weg. Aber nicht jede Folge ist so augenfällig wie eine Mauer aus Beton mit Stacheldraht. Manche Grenzen, obwohl unsichtbar, formen dennoch unseren Alltag. Sie bestimmen unser Denken, indem sie den Fokus nicht auf das große Ganze legen, sondern auf die Reibungspunkte. Auf das, wo es Konfrontation und Zusammenstöße gibt.
Auch in Kärnten existierte eine solche mentale Grenze. Eine Art „Bruchlinie“, die das Land durchzog – und die besonders im Ortstafelstreit sichtbar und manifest wurde. Wer in Kärnten lebte, wuchs unweigerlich in diesen Streit hinein. Außerhalb Kärntens wurde man oft angesprochen, warum es „wegen ein paar Tafeln so viel Streit“ gab. Die Kärntner galten bald als notorische „Streithansel“ oder „Krawallstoppel“.
Aber wer in Kärnten aufgewachsen war, der spürte, was dahitnersteckte: dass es eigentlich um ein unbewältigtes Trauma ging, das aus der bewegten Kärntner Landesgeschichte resultierte.
Und wie jedes Trauma eignete sich auch dieses für politische Instrumentalisierung, zur Erzeugung eines „wir gegen die anderen“-Gefühls, das zwar schon so viel Verderben gebracht hatte, aber manchen trotzdem noch attraktiv genug schienen, um damit Stimmen einzuheimsen.
Viele politische Versuche, den Streit um die Ortstafeln zu beenden, scheiterten letztlich. Der Grund dafür ist klar: Versöhnung lässt sich nicht von außen verordnen. Sie muss von innen heraus entstehen. Kurz gesagt: Es dauerte.
Seit 2005 wirkte die Kärntner Konsensgruppe. Ein jahrelanger Dialog setzte ein, indem sich allmählich herauskristallisierte, dass es Fortschritt nur geben kann, wenn man einen für beide Seiten gangbaren Weg wählt. Man kann ihn nicht immer Hand in Hand gehen. Aber es muss kommuniziert werden, um das Gemeinsame zu finden: eine gemeinsame Richtung hin zu einem gemeinsamen Ziel.
Für Kärnten hieß dieses Ziel ein neues „Wir“. Ein „Wir“, das nicht gegen „Andere“ ausgespielt wurde, sondern das fähig war, zusammenzuhalten und somit in einer immer stärker zusammenwachsenden und schnelleren Welt zu bestehen – und um die Chancen nutzen zu können, die sich daraus ergeben. Und die Politik, bzw jene Teile der Politik, die in der Vergangenheit eine Lösung der sogenannten „Ortstafelfrage“ nicht sehen konnten oder wollten, sie erkannte, was der Mehrheit der Kärntnerinnen und Kärntner schon mehr oder weniger lange bewusst war: Nach 56 Jahren gab es eine historische Lösung! Das veränderte auch das Bild, das von Kärnten in Österreich herrschte, ein großes Stück zum Positiven. Besonderer Dank gebührt meinem Amtsvorgänger Gerhard Dörfler, dem damaligen Staatssekretär Josef Ostermayer, der Konsensgruppe und allen, die zur Lösung beigetragen haben.
Mittlerweile ist Kärnten noch einen Schritt weitergegangen und hat die slowenische Volksgruppe in der Landesverfassung verankert.
Kärnten: In Europa angekommen
Die Beilegung des Ortstafelkonfliktes passte auch zu dem Weg, den Österreich (und mit ihm Kärnten) mit den EU-Beitrittsverhandlungen eingeschlagen hatte. Durch den Beitritt am ersten Jänner 1995 begab sich auch Kärnten verstärkt auf internationales Parkett. Auch hier gab es eine hohe Zustimmung: 68 % der Kärntnerinnen und Kärntner waren für den Beitritt.
Der EU-Beitritt war ein Bekenntnis gegen das Inseldenken, gegen Abschottung und gegen Mauern. Er war ein Ausdruck eines neuen Bewusstseins in Kärnten für Offenheit und Vielfalt. Im Gegenzug war es aber auch ein Versprechen an die Kärntnerinnen und Kärntner selbst, nämlich ein Versprechen auf Wohlstand und auf Sicherheit – unter dem direkten Eindruck der Jugoslawienkriege war es genau das, was sich die Kärntnerinnen und Kärntner wünschten – und auf Freiheit (Reise und Handel). Ohne Passkontrolle ins Ausland, das war für viele Menschen undenkbar. Plötzlich war es Realität – und für die junge Generation ist es heute natürlich längst eine Selbstverständlichkeit.
Durch die europäische Zusammenarbeit brachte man nicht nur „mehr Europa nach Kärnten“, man brachte mit grenzüberschreitenden Projekten auch „mehr Kärnten“ in die Welt. Die privilegierte Lage Kärntens im Herzen Europas und genau am Kontaktpunkt dreier Kulturen, Sprachen und Regionen eröffnet uns die Chance, als Drehscheibe in mehrfachem Sinn zu fungieren. Durch ein Klima des Dialogs im Land sind wir zu einem geschätzten Dialogpartner auf europäischer Ebene geworden.
Neben dem europäischen Ausschuss der Regionen, in dem ich Kärnten vertreten darf, habe ich aktuell den Vorsitz des Europäischen Verbundes für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) „Euregio Senza Confini“ inne, in dem Kärnten gemeinsam mit Friaul-Julisch Venetien und dem Veneto vertreten ist. Weiters sind wir in der Alpen Adria Allianz äußerst aktiv und setzen damit ein von Kärnten in der Zeit des Kalten Krieges initiiertes Projekt um.
Dass es überaus lohnend und produktiv ist, hinter Grenzen zu schauen und zusammen Projekte ins Auge zu fassen, zeigt auch die unlängst angedachte, gemeinsame Bewerbung Kärntens und weiterer Bundesländer mit Slowenien und Italien für die Olympischen Winterspiele 2034. Hier braucht es natürlich eine zeitgemäße Sichtweise: Weg von den Mega-Bauten, die nach Beendigung der Spiele als Mahnmale überbordender Steuergeld-Verschwendung stehenbleiben, und hin zu einem nachhaltigen, sanften, in die örtlichen Gegebenheiten eingebetteten Sport-Fest.Kärnten in neuer Verfassung
Ausdruck dieses geänderten politischen Bewusstseins in Kärnten ist auch die neue Kärntner Landesverfassung. Mit dem Beschluss im Jahr 2017 haben wir die politischen Spielregeln im Land modernisiert. Regierungsverantwortung und Oppositionsarbeit sind seitdem klar getrennt. Mit der Stärkung der Oppositionsrechte und dem Ausbau der Kontrollbefugnisse verfügt Kärnten nun über den stärksten Landtag Österreichs – das sichert Transparenz, fördert eine lebendige Demokratie im Land und öffnet auch weitreichende Teilnahmemöglichkeiten für die Bevölkerung am politischen Prozess. Auch das hat Vorzeigecharakter.
Genauso wichtig wie die geschriebenen sind aber die ungeschriebenen Gesetze, die wir alle immer beherzigen sollten – innerhalb und außerhalb der Politik:
Wechselseitiger Respekt (nicht nur) in politischen Diskussionen – auch wenn man unterschiedlicher Auffassung sein mag
Freundlich im Ton – auch wenn man inhaltlich eine klare Position vertritt und zu seinen Überzeugungen steht
Ein offenes Ohr beweisen und zuhören – auch wenn man nicht nur Lob zu hören bekommt
Sachlich und lösungsorientiert arbeiten – und sich nicht vom Getöse beeindrucken lassen
Und das Wohl aller Menschen in Kärnten im Sinn haben – denn das bedeutet, Kärnten im Herzen und im Kopf zu tragen.
– PETER KAISER
Landeshauptmann